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Crashlandung – und die Halterhaftung fürs Flugzeug

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Die Luftfahrzeughalterhaftung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG greift im Allgemeinen nur zugunsten von solchen Geschädigten, die am Betrieb des schadensstiftenden Luftfahrzeugs in keiner Weise beteiligt waren.

Nimmt ein Flugsicherungsunternehmen auf die Landung eines Flugzeugs Einfluss und werden bei der Landung des Flugzeugs Einrichtungen zerstört, die das Flugsicherungsunternehmen zum Zwecke der Wahrnehmung seiner Flugsicherungsaufgaben hinter der Landebahn installiert hat, so steht ihm kein Anspruch aus § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG gegen den Flugzeughalter zu.

Hintergrund dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs war ein Vorfall auf dem Düsseldorfer Flughafen: Am 24.01.2005 gegen 6.00 Uhr rollte eine Boeing 747200 bei der Landung auf dem Flughafen Düsseldorf über die Landebahn hinaus und in das dahinter befindliche Rasenfeld. Dabei wurden Einrichtungen des Instrumentenlandesystems zerstört, die die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS), das Flugsicherungsunternehmen, das am Flughafen Düsseldorf Aufgaben der Flugsicherung gemäß § 27c Abs. 2 LuftVG wahrnimmt, dort installiert hatte.

Während des Landeanflugs des Flugzeugs hatte es angefangen zu schneien. Mitarbeiter der Betreiberin des Flughafens hatten deshalb Messungen auf der Landebahn vorgenommen, um deren Oberflächenbeschaffenheit zu überprüfen, und die gewonnenen Daten – mehrfach – an einen Fluglotsen der DFS Flugsicherung weitergegeben. Zuletzt war dem Lotsen um 5.56 Uhr von einem Mitarbeiter der Flughafenbetreiberin mitgeteilt worden, aufgrund der Messdaten bewerte er die Landebahn als “medium”, stellenweise sei es aber doch relativ glatt. Nachdem der Lotse seinerseits der Cockpitbesatzung des Flugzeugs um 5.50 Uhr mitgeteilt hatte, dass die Bremswirkung im Moment noch gut sei, aber noch Tests geplant seien, weil es weiterhin schneie und man eine Verschlechterung befürchte, meldete er ihr um 5.59 Uhr: “[…] the braking action was measured to be medium at all parts and the visibility dropped right now due to the heavy snow showers.” Nach der anschließenden Landefreigabe setzte das Flugzeug innerhalb der Aufsetzzone der Landebahn auf, wurde – jedenfalls zunächst – mit dem automatischen Bremssystem des Flugzeugs gebremst, kam aber erst 75 Meter hinter der sich an die Landebahn anschließenden asphaltierten Freifläche zum Stehen.

Mit der Behauptung, Eigentümerin der zerstörten Messinstrumente zu sein, nimmt die DFS Flugsicherung die Halterin auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat die Meinung vertreten, dieser Anspruch ergebe sich aus § 33 LuftVG, aus § 831 BGB und aus § 25 Abs. 3 iVm § 33 LuftVG. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht Düssseldorf die Berufungen der DFS und des Flughafens – als Streithelfer der DFS – zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof bestätigte nun die Düsseldorfer Urteile:

Der Bundesgerichtshof bestätigte zunächst, dass mangels Vorliegens hierauf hindeutender Tatsachen – Ansprüche aus § 831 Abs. 1 BGB und § 25 Abs. 3 iVm § 33 LuftVG nicht bestehen.

Sodann verneint er aber auch einen Anspruch aus § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG: für den von der DFS im Streitfall geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Raum. Durchgreifende Gründe, seine Rechtsprechung zu ändern, sieht der Bundesgerichtshof nicht.

Wird beim Betrieb eines Luftfahrzeugs durch einen Unfall jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter des Luftfahrzeugs nach § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG verpflichtet, den Schaden zu ersetzen. Der Bundesgerichtshof hat den Anwendungsbereich der Vorschrift allerdings ihrem Wortlaut gegenüber eingeschränkt. Danach greift die Vorschrift im Allgemeinen nur zugunsten von solchen Geschädigten, die am Betrieb des schadensstiftenden Luftfahrzeugs in keiner Weise beteiligt waren. Seine – in der Literatur ganz überwiegend geteilte – Auffassung hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen auf die Erwägung gestützt, die strenge Luftfahrzeughalterhaftung, die “strengste Gefährdungshaftung des deutschen Rechts”, die nicht einmal für den Fall höherer Gewalt einen Haftungsausschluss kennt, sei nur gegenüber Unbeteiligten gerechtfertigt. Dem wiederum liegt die Überlegung zugrunde, dass die insbesondere im Vergleich zur Haftung des Eisenbahn- oder Kraftfahrzeughalters schärfere Haftung des Halters eines Luftfahrzeugs sich jedenfalls heute nur noch damit erklären lässt, dass der vom Luftverkehr Geschädigte mehr noch als der durch Eisenbahn oder Kraftfahrzeug Geschädigte am Verkehr unbeteiligt ist.

Bei Anwendung dieser Grundsätze greift § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG im Streitfall zugunsten der DFS Flugsicherung nicht. Das Berufungsgericht ist zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass sie am Betrieb des Flugzeugs beteiligt war. Sie hat durch den diensthabenden Fluglotsen, ihren Mitarbeiter, auf den schadensursächlichen Landevorgang des Flugzeugs mit dessen zur Landung führenden Mitteilungen unmittelbar Einfluss genommen. Hinzu kommt, dass sie die durch den Unfall zerstörten Einrichtungen zur Wahrnehmung ihrer Flugsicherungsaufgaben hinter der Landebahn positioniert und damit, wenn auch nicht sorgfaltswidrig, so doch willentlich den Gefahren des (landenden) Luftverkehrs ausgesetzt hat. Im ihr vom Flugzeug der Halterin zugefügten Schaden hat sich damit gerade eine spezifisch mit ihrer Beteiligung am Betrieb der landenden Flugzeuge verbundene Gefahr verwirklicht, die nicht am Betrieb beteiligten Personen nicht in gleicher Weise droht. Dass die DFS Flugsicherung – wie von der Revision hervorgehoben – verpflichtet war, die Flugsicherungsdienste im Sinne des § 27c Abs. 2 LuftVG wahrzunehmen und zu diesem Zweck die im Streitfall zerstörten Einrichtungen wie geschehen zu positionieren, ändert daran nichts.

Auch die weiteren erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Nach den dargestellten Grundsätzen ist es – anders als die Revision meint – zunächst unerheblich, dass es sich bei der DFS Flugsicherung nicht um eine natürliche, sondern um eine juristische Person handelt und sie nicht wegen der Verletzung ihres Körpers oder ihrer Gesundheit, sondern wegen der Zerstörung von Sachen Schadensersatz verlangt. Zwar trifft es zu, dass die von der Revision zitierten BGH-Entscheidungen ausnahmslos Fälle betreffen, in denen eine natürliche Person an Leben, Körper oder Gesundheit verletzt wurde. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die dort entwickelten Grundsätze nicht auch im Falle von Sachschäden juristischer Personen gelten. Einen nachvollziehbaren Grund, Sachschäden anders zu behandeln als Personenschäden und sie – anders als Personenschäden – auch dann in den Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG einzubeziehen, wenn der Geschädigte am Betrieb des schadensstiftenden Luftfahrzeugs beteiligt war, vermag der Bundesgerichtshof nicht zu erkennen. Im Gegenteil stellte es einen nicht zu begründenden Wertungswiderspruch dar, die Sachschäden eines am Betrieb des Luftfahrzeugs Beteiligten der Gefährdungshaftung des § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG zu unterstellen, nicht aber seine Personenschäden. Auch die von der Revision angestrebte Besserstellung einer juristischen gegenüber einer natürlichen Person in Bezug auf den persönlichen Schutzbereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG ist nicht zu rechtfertigen.

Für den Bundesgerichtshof ist auch kein Grund ersichtlich, die von der DFS Flugsicherung geltend gemachten Schäden deshalb als von § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG erfasst anzusehen, weil die DFS Flugsicherung am Betrieb des Flugzeugs nicht “physisch” beteiligt war. Nach den dargestellten Grundsätzen greift § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG nur zugunsten Geschädigter, die am Betrieb des schadensstiftenden Luftfahrzeugs in keiner Weise beteiligt waren; nachdem die DFS Flugsicherung über den bei ihr beschäftigten Lotsen den Landevorgang maßgeblich beeinflusste und sie die beschädigten Betriebseinrichtungen zudem – durch deren Positionierung hinter der Landebahn im Übrigen auch physisch – den Gefahren des Luftverkehrs aussetzte, kann hiervon im Streitfall nicht ausgegangen werden.

Unerheblich ist schließlich, ob die zerstörten Einrichtungen nach dem Aufsetzen des Flugzeugs auf der Landebahn und damit im Zeitpunkt der Kollision für den konkreten Landevorgang noch benötigt wurden sowie ob und inwieweit sie von vornherein nicht dem Betrieb der vom Flugzeug der Halterin genutzten Landebahn, sondern der Landebahn der Gegenrichtung dienten. Beide Gesichtspunkte wirken sich weder darauf aus, dass die DFS Flugsicherung am Betrieb des landenden Flugzeugs beteiligt war, noch darauf, dass die beim Unfall zerstörten Instrumente von ihr willentlich zur Wahrnehmung ihrer Flugsicherungsaufgaben in den Gefahrenbereich hinter der Landebahn gebracht worden waren.

Durchgreifende Gründe, seine Rechtsprechung aufzugeben oder zu modifizieren, sieht der Bundesgerichtshof nicht.

Dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG ist zwar die dargestellte Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf Geschädigte, die am Betrieb des Luftfahrzeugs in keiner Weise beteiligt waren, nicht zu entnehmen. Das schließt eine entsprechende teleologische Reduktion der Vorschrift aber nicht aus. Zwar müssen Gerichte die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den gesetzgeberischen Willen auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Dabei brauchen sie aber nicht am Wortlaut einer Norm zu haften. Ihre Bindung an das Gesetz bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zur wörtlichen Auslegung, sondern Gebundensein an den Sinn und Zweck des Gesetzes. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG dient gerade dem Sinn und Zweck des Gesetzes.

Zuzugeben ist der Gegenansicht, dass sich der historische Gesetzgeber mit der Frage, ob derjenige, der sich den Gefahren des Luftverkehrs freiwillig aussetzt, aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen werden soll, ausdrücklich befasst und sich zunächst bewusst gegen eine entsprechende Beschränkung entschieden hat. So wird in der Begründung des zweiten Regierungsentwurfs eines Luftverkehrsgesetzes von 1921 ausdrücklich ausgeführt, der Entwurf weiche von einem früheren Entwurf insoweit ab, als er anders als der Vorentwurf Fälle von der Haftpflichtregelung nicht ausnehme, in denen der Verletzte die besondere Gefahr freiwillig übernommen habe. Denn – so die Begründung – der Gesichtspunkt, dass sie die Gefahr freiwillig übernähmen, müsse hinter die Erwägung zurücktreten, dass eine solche Gefahrübernahme die im Interesse der Allgemeinheit liegende Entwicklung des neuen Verkehrsmittels fördere.

Auch dieser Umstand steht der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG aber nicht entgegen. Schon die für die Entscheidung des historischen Gesetzgebers offenbar maßgebliche Vorstellung, bei der Luftfahrt handle es sich um ein neues Verkehrsmittel, das gerade deshalb der Förderung bedürfe, lässt sich mit den seither gewandelten tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr in Übereinstimmung bringen. Weder handelt es sich bei der Luftfahrt noch um ein neues, in der Entwicklung befindliches Verkehrsmittel. Noch ist der Luftverkehr unter diesem Gesichtspunkt besonders förderungsbedürftig. Auch der Gesetzgeber selbst hat sich deshalb erkennbar von der Vorstellung des ursprünglichen Gesetzgebers gelöst. So lässt sich insbesondere dem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts vom 16.07.1957, mit dem Flugschüler aus dem durch die Gefährdungshaftung für Luftfahrzeughalter geschützten Personenkreis ausgenommen wurden, eine Abkehr von der Annahme entnehmen, eine im persönlichen Schutzbereich unbeschränkte Gefährdungshaftung des Luftfahrzeughalters sei notwendig. Dabei wurde diese Herausnahme ausweislich der Entwurfsbegründung sogar ausdrücklich damit begründet, die volle Erfolgshaftung des Luftfahrzeughalters Flugschülern gegenüber sei “keineswegs angebracht, denn der Flugschüler [begebe] sich bewusst in Gefahren des Luftverkehrs und [könne] deshalb billigerweise für sich die Gefährdungshaftung nicht in Anspruch nehmen”. Schließlich ist zu beachten, dass der Gesetzgeber die vom Bundesgerichtshof angenommene individuelle Begrenzung der Gefährdungshaftung des § 33 LuftVG auf “völlig unbeteiligte Opfer” in anderem Zusammenhang ausdrücklich in den Blick genommen hat, er aber offenbar keine Veranlassung sah, diese Rechtslage zu ändern.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. November 2016 – VI ZR 694/15


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